70 Jahre Abarth: Öhi auf der Alm
Wenn Sie sich heute einen Abarth 500 kaufen, wird auf der Außenhaut möglicherweise die Ziffernkombination “595” oder die Buchstabenanhäufung “Esseesse” zu lesen sein. Passt schon, das kommt vom Opa, den wir anlässlich des Markengeburtstags in der Schweiz besucht haben.
Der Mensch neigt ja dazu, die Dinge zu sortieren. Was die Nomenklatur der Fiat- Modelle betrifft, herrscht spätestens seit der September-Ausgabe der autorevue diesbezüglich Klarheit. Nach dem putzigen Wägelchen Fiat 500 Topolino (so heißt in Italien übrigens Micky Maus) folgte Mitte der 50er-Jahre der etwas brav aussehende 600er, der Kleinwagen für die ganze Familie. Den machte Carlo Abarth aber bald bös und böser: Als 850 TC oder 1000 TCR (die Zahlen beschreiben die Hubräume) dominierte das Auto die kleinen Rennklassen diverser Meisterschaften nach Belieben. Die Motorleistung schwoll auf jenseits der 100 PS, und die Optik konnte damit locker mithalten. Öl- und Wasserkühler wuchsen an den Bug, die Spur wurde immer breiter, der Motordeckel wurde durch ein Gestänge hochgeklappt, was aerodynamische und Kühlungseffekte hatte, auch ragte der gewaltige Abgasstrang gern direkt aus dem Motorraum, welcher beim TCR dann überhaupt offen blieb, der Deckel war in einen fix verschraubten Heckflügel umgewandelt worden.
Carlo Abarth verstand sich als Konstrukteur, nicht als Tuner. „Ich bin kein Friseur“, stellte er einmal in einem Fernsehinterview klar. Der Motor des 500 wurde um 100 Kubik aufgebohrt, und es wurden praktisch alle beweglichen Teile getauscht.
Doch das ist eigentlich eine andere Geschichte. Denn im Jahr 1957 kam mit dem Nuova 500 dann jenes Fiat-Modell auf die Welt, das später Anleitung für das Retrodesign des seit 2007 äußerst beliebten, wieder neuen – also praktisch „Supernuova“ – 500 war, welcher seither nur durch diverse Facelifts behübscht – Puristen würden sagen: verschlimmbessert – wurde.
Die Geburtstagsfahrt
Wir sind nun endlich dort, wo wir hingehören: in der Schweiz. In der staunenswerten Abarth-Sammlung Möll (der wir gern in einer späteren Ausgabe eine eigene Geschichte widmen, sie und auch ihr Schöpfer haben das so was von verdient) in Solothurn finden wir das, was der große österreichische Autokonstrukteur – wir werden nicht müde, seine Herkunft zu betonen – aus dem äußerst bescheidenen Nuova 500 gemacht hat: den Abarth 595 „esse esse“!
Aber schön der Reihe nach. Der Cinquecento war ein Kleinstwagen, wie er spartanischer kaum sein konnte. Sein 500-ccm-Motörchen beherbergte einen luftgekühlten Zweizylinder-Gleichläufer (die Kolben bewegten sich parallel), der ursprünglich gerade mal 14 PS leistete. Im Laufe seiner beachtlich langen Bauzeit, die bis in die 70er hineinreichte, brachte er es dann letztlich auf knapp über 20 Pferde. Nichts, was das Prädikat „Abarth“ rechtfertigen würde, da war ein gröberer Umbau fällig.
Kein Friseur
Carlo Abarth verstand sich als Konstrukteur, nicht als Tuner. „Ich bin kein Friseur“, stellte er einmal in einem Fernsehinterview klar. Ja, früher sagte man „frisieren“, wenn man das Schärfermachen eines Autos meinte. Damit der Abarth ein gutes Drittel mehr Leistung brachte als der stärkste Serien-500er, wurde der Motor um 100 Kubik aufgebohrt, daher 595, und es wurden praktisch alle beweglichen Teile getauscht: Ventile, Kolben, Nockenwelle u. s. f. Weiters wurde der Zylinderkopf bearbeitet, ein größerer Vergaser verbaut und – bei Abarth selbstverständlich – der Auspuff ersetzt.
Außen wurde das putzige Kerlchen entsprechend gefährlicher gemacht: Immerhin ist ein Skorpion kein Kuscheltier. Über die deutlich breitere Spur samt entsprechenden Reifen und Felgen wölben sich stattliche Kotflügelverbreiterungen, in Kriegsbemalung gehalten, damit man sich auskennt. Auf dem Motordeckel steht schließlich das Kürzel „Esseesse“ für Super Sport. Die eigenartige Schreibweise ergab sich aus dem Umstand, dass man in der Nachkriegszeit die Buchstabenfolge „SS“ einfach nicht sehen wollte (Chefsortierer denken hier unweigerlich an den SS 100, der aus demselben Grund zum „Jaguar“ wurde). Und so wie wir „ess“ sagen, wenn wir „S“ meinen, sagen die Italiener eben „esse“.
Innen bekam der 595er die für Abarth so typische, stattliche Uhrensammlung. Die vier Rundinstrumente zeigen Geschwindigkeit, Motordrehzahl, Öldruck und Öltemperatur. Bei einem luftgekühlten Motor sind letztere nämlich deutlich wichtiger als die Benzinanzeige, hier gibt es nur ein Lamperl, das rot aufleuchtet, wenn man auf Reserve ist. Das gilt besonders, wenn man Rennen fährt, und die wurden mit dem Abarth 595 selbstverständlich auch bestritten, denn die oben beschriebenen 600er-Fiat waren ja in die höheren Hubraumklassen abgewandert.
Ausfahrt auf den Berg
Apropos Rennen: Könnten wir jetzt eventuell … also zumindest mal fahren? „Kein Problem“, meint Christian, die gute Seele der Sammlung Möll. Er hat schon an jedem einzelnen dieser fantastischen Renn- und Sportwagen geschraubt, und wenn er nicht gerade das tut, dann streicht er mit einem weichen Tuch zärtlich über deren Blech. Jetzt betätigt er sich auch noch als Fremdenführer, denn unser Fotograf ist motivisch anspruchsvoll. Er möchte den 595er nicht in dem Gewerbegebiet fotografieren, in dem sich die Sammlung versteckt, er will auffi aufs Juchhe!
In der Schweiz auf einen Berg raufzufahren, auf so eine Idee muss man erst mal kommen. Also bringen wir den Öhi (schweizerisch für Opa) auf die Alm. Wir entscheiden uns für den Weissenstein, den Solothurner Hausberg. Netterweise setzt sich Christian die ersten paar Kilometer selbst ans Steuer, der Abarth ist eine ganze Weile gestanden, und bevor er giftig wird, ist er zunächst einmal nur bockig. Ehe ich es selbst probiere, lausche ich Christians Anweisungen. Man soll ja grundsätzlich immer behutsam schalten, und bei dem hier vorhandenen unsynchronisierten Klauengetriebe erst recht. Wenn man freilich des Öfteren in alten Kisten sitzt, hat man sich bald dran gewöhnt, und da man sowieso Zwischengas geben muss, kann man den Motor bergauf beim Gangwechsel auch gut bei Laune halten.
In der Ebene sind die 34 PS für zügiges Fortkommen ausreichend, doch bei nur 520 kg Eigengewicht wird der Fahrer zum ernst zu nehmenden Ballast. Heute Abend also kein Käsefondue! Bergab geht es dann hurtig und angstfrei, bei Abarth wurde ja der Motor- stets auch die Bremsleistung angepasst. Im städtischen Fließverkehr mitzuschwimmen, ist auch kein Problem, sofern man einmal memoriert hat, dass sich der Blinkerhebel rechts befindet. Das ist bei historischen Fahrzeugen nicht unüblich, und wenn ich an meine Fahrschulzeit denke: „Wir blinken erst, wenn wir rausfahren, nicht schon, wenn wir rauswollen“, wurde ich da belehrt. Bei vorschriftsmäßiger Lenkradhaltung von dreiviertel drei braucht man beim Einlenken nur einen Finger abzuspreizen, und das Blinken geht von selbst – auch mit rechts.
Hin und weg
Nach schöner Ausfahrt in gesunder Bergluft stelle ich den kleinen Skorpion wieder zurück zu seinen zahlreichen Artgenossen und sage ein herzliches „Merci vielmal!“ zu allen, die dieses Abenteuer möglich gemacht haben. Denn es war dies der definitiv erste ECHTE 500er Abarth, denn ich je zu Gesicht bekommen habe.
PS: Falls jemand denkt, mein Sortiment sei unvollständig: Okay, es gab in den 90er-Jahren noch ein Fiat-Modell, das sich „Cinquecento“ schrieb, und es gab dazu sogar eine als „Abarth“ definierte Ausstattungslinie, die hauptsächlich aus eher unschönen Verspoilerungen bestand. Sorry, ich habe mir erlaubt, das auszusortieren.